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Wallstein 1945 – 1946  -  Ein Erlebnisbericht von Frau Hedwig Ott

Veröffentlicht in der National Zeitung am 21.1.1966 

Frau Ott war die Ehefrau des bekannten Heimatdichters und Schriftstellers Erwin Ott aus Jägerndorf, der viele Jahres seines Lebens in Wallstein in seinem Landhaus verbrachte und enge Bindungen zu diesem Ort und seinen Menschen hatte.

„Im Nachfolgenden berichte ich über die Ereignisse in Wallstein bei Olbersdorf, Kreis Jägerndorf  und Jägerndorf selbst, die sich vom Juli 1945 bis Juni 1946 unter dem tschechischen Terror abspielten. Wallstein war ein kleiner Gebirgsort, von kleinen, fleißigen Bauern besiedelt, die ihre steil liegenden Felder unermüdlich bebauten und nachweisbar seit dem 30-jährigen Krieg dort wohnten. Urkunden zeigen eine Reihe von 12 bis 14 Ahnen auf. Im Juni und Juli 1945 war es in Wallstein, im Gegensatz zu anderen Orten, wo sich der Pöbel und das Untermenschentum (unter Führung von Gendarmen) aufs entsetzlichste austobten, verhältnismäßig ruhig, weil die entlegenen Dörfer noch nicht von ihnen heimgesucht wurden. Dann war allerdings auch bei uns die Hölle los. 

Eines Tages kamen die Tschechen nach Kuhberg, eine Expositur bei Wallstein und suchten bei dem Heger Schnaubelt nach Waffen, fanden aber keine, da dieser seine Jagdwaffen bereits abgeliefert hatte. Da man ihm keinen Glauben schenkte, banden sie ihm einen Strick um den Leib, schleiften ihn die Bodenstiege hinauf und ließen ihn dann von oben herunterfallen. Das wiederholten sie mehrere Male. Als Schnaubelt bewußtlos wurde, goß man ihm einen Kübel Wasser über das Gesicht, zog ihn dann aus und schlug ihn mit einer Riemengeißel, an deren Riemenenden wahrscheinlich spitze Nägel eingeflochten waren, denn die zerfetzte Haut deutet darauf hin. Schnaubelts Zustand war so schlecht, daß ihn seine Frau versehen ließ.

Eines Tages, die Hunde bellten wie besessen, kamen die Tschechen wieder einmal nach Wallstein. Immer, wenn ich die Hunde hörte, packte ich meine Papiere, sperrte das Haus zu und ging „stiften“. Die Nachbarn meinten, wenn sie mich sahen: „Aha, die Frau Ott geht wieder auf Reisen!“ Ich hatte ganz einfach das fatale Gefühl, daß mich eines Tages die Tschechen holen und ins Lager sperren würden, wenn nicht gar „hinter Gitter“. Ich stieg auf die nahe gelegene Anhöhe und besah mir von oben das Landheim (Anmerkung: so nannten sie immer ihr Haus in Wallstein). Sollten die Tschechen doch alles herausholen, was sie wollten, Hauptsache, ich blieb frei, um nach meinem Manne forschen zu können, von dem ich zu dieser Zeit noch nicht wußte, wohin ihn die Tschechen verschleppt hatten. Ich sah auch wirklich bald darauf ziemliche Bewegungen um unser Haus. Deutliches konnte ich nicht erkennen, da ich kurzsichtig bin und die Tschechen mir bei der Hausdurchsuchung in Jägerndorf beide Gläser gestohlen hatten. Ich hatte nur ein geschenktes Einglas.  

Ich mußte viele Stunden auf dem Berg ausharren, bis endlich unter mir Ruhe eintrat. Als ich vorsichtig ins Dorf hinunterschlich, erfuhr ich, daß die Tschechen bei meinem Nachbarn Josef Appel alles durchsucht und vieles mitgenommen hatten, darunter auch einige Kleider meines Mannes und Wäsche aus dem Landheim, die ich meinem Nachbarn zur Aufbewahrung übergeben hatte. Es war wie ein Verhängnis: Wo ich etwas versteckt hatte, da war in kurzer Zeit Hausdurchsuchung und meine Habe mit verschwunden. So bei meinem Nachbarn Hofmann mein ganzes Bargeld, 1250 Mark und Wäsche, beim Kaufmann Gottwald Bettzeug und Kleider. Ich denke noch heute mit tiefer Dankbarkeit an meine lieben Wallsteiner, die mich bis zur Aussiedlung mit Geld und Lebensmitteln unterstützten, vor allem Mühlenbesitzer Heinisch, meine Nachbarn Appel und Hofmann. Trompetenappel, wie er allgemein genannt wurde, weil er in seiner Freizeit Trompete spielte, nahmen sie leider bei der Hausdurchsuchung mit. Er kam „hinter Gitter“ ins Jägerndorfer Panzerlager. Der Schock und die ungerechte Internierung trugen wohl zu seinem frühen Ende bei.  

Die Tschechen dachten sich immer neue „kleine Scherze“ aus 

Da Wallstein nicht ins Lager mußte (einer der wenigen Orte des Kreises Jägerndorf), (Anmerkung: die Wallsteiner wurden erst 1946 kurz vor ihrer Vertreibung für einige Tage ins Jägerndorfer Lager verbracht, um von dort mit Viehwaggons abtransportiert zu werden) hielten sich die Machthaber anderweitig schadlos. Unter dem Vorwand einer Hausdurchsuchung stahlen sie alles, was ihnen unter die Hände kam und was ihnen gefiel. Der Deutsche war machtlos, rechtlos, ein Stück Vieh, das man schlagen, erschlagen und austreiben konnte, wie es beliebte. Möbel, Kleider, Wäsche, gesparte Lebensmittel (obwohl die Tschechen genug zu essen hatten), wurden mitgenommen und auf Wagen, die der Bauer noch zu stellen mußte, fortgeschafft. Weil ihnen die einzelnen „Hausdurchsuchungen“ zu langsam gingen, wurde eine sogenannte Wirtschaftskontrolle durchgeführt! 

Am 26. Oktober 1945 wurde das Dorf zeitig in der Früh von allen Seiten durch tschechische Gendarmerie (500 – 600 Mann) abgeriegelt und dann wurde systematisch jedes Gehöft, jedes Häuschen „durchsucht“, das Beutegut auf Wagen verladen und abtransportiert. Wer sich weigerte, etwas herauszugeben, wurde zusammengeknüppelt. Eine alte Frau (Schmied aus Verlorenwasser) die in ihrer Not, vielleicht auch aus Angst, einen Ofenhacken erwischte, und damit die Räuber abwehren wollte, wurde von zwei tapferen Helden ins Zimmer geschleift und ihr armer, alter Körper mit Gummiknüppeln ganz zerschlagen, daß er aussah, wie ein Stück rohes Fleisch. Ich sah die Frau selbst, denn ich rieb ihren Rücken mit Salbe ein. Ich war zu dieser Zeit noch immer in unserem Landheim in das ich geflüchtet war, als nach der Verschleppung meines Mannes Partisanen in unser Haus in Jägerndorf eindrangen und nach widerrechtlicher Wegnahme eines großen Teiles unserer beweglichen Habe (das Haus mit Inventar war vom Narodni Vybor für einen Tschechen beschlagnahmt), mir angedrohten, sie würden mich in ein Konzentrationslager bringen.  

Nach dieser „Kontrolle“ kamen die Tschechen öfters ins Dorf, um Stichproben zu machen. Ich allein hatte in der Zeit von Juli 1945 bis Mai 1946 sechs Hausdurchsuchungen, meistens in der Nacht. Daß ich dies alles überstanden habe, ist mir heute noch ein Rätsel. Denn immer waren die Besucher schwer bewaffnet mit Maschinenpistolen, die drohend auf mich gerichtet waren. Ein etwas groteskes Bild: Eine wehrlose Frau und zehn oder mehr bewaffnete Männer.  

Über den Geist und die Methoden der Tschechen zwei weitere Beispiele:

Unser Nachbar, Josef Hofmann, wurde eines Abends um 9 Uhr, nachdem man die Haustür eingedrückt hatte, aus dem Bett getrieben und gezwungen, mit der Laterne in ein nahegelegenes Wäldchen mitzugehen. Man hatte dort, da man sämtliche Steinrücken und Wäldchen nach verstecktem Gut durchsuchte, eine Kiste mit Mehl gefunden. Der Bauer sollte nun eingestehen, daß er diese Kiste versteckt hätte. Da dies Hofmann nicht konnte, weil es eben wirklich nicht sein Eigentum war, mußte er zuerst die Kiste aus der Grube heben, sich dann in dieselbe legen und dann wurde ihm gesagt, daß er erschossen würde. Der eine „Held“ gab wirklich zwei Schüsse, allerdings in die Luft ab, dann durfte Hofmann aufstehen und das Mehl zu einem Wagen tragen, der am Wege bereitstand. Bei dieser Handlung war der damalige Kommissar von Heinzendorf, ich glaube er hieß Prikril oder so ähnlich, selbst zugegen. 

Nach der Massenplünderung im Oktober wurde Hofmann in der Nacht zum 28. Oktober durch das Bellen seines Hundes geweckt. Als er nachsehen wollte, trieb man ihn mit vorgehaltenem Revolver in das Haus zurück. Ein Militärauto stand im Hof, in das zwei Männer in Uniform die beiden fetten Schweine (jedes Schwein war angemeldet) hineinzwängten, nachdem man sie erschossen hatte. Als das geschafft war, wurden drei oder vier Freudenschüsse abgegeben, bevor man wegfuhr. Diese Freudenschüsse wurden übrigens nach jeder gelungenen Aktion abgegeben. In der Früh des anderen Tages meldete Hofmann den Diebstahl beim Kommissar. Und nun begann eine Komödie, die ihresgleichen sucht.  

Mit Hundepeitschen durch das Land getrieben 

Am Nachmittag (Sonntag) kamen ein Auto und drei Motorräder angefahren zwecks Untersuchung des „Falles“. Hofmann wurde über eine Stunde gequält, zuzugeben, daß er die Schweine schwarz verkauft hätte. In der Zwischenzeit vergnügten sich andere Mitglieder der Kommission mit „Fangenspielen“. Als die Herrschaften wegfuhren, fehlten dem Hofmann seine drei Truthühner und fünf Enten. Kommentar überflüssig.

Deutsche Aufräumfrauen in der Gendarmerieschule in Jägerndorf erzählten, daß es am 28. Oktober Schweinefleisch in rauhen Mengen daselbst hatte. (Die Gendarmerieschule war bei dem großen Raubzug am 26. Oktober beteiligt und bestimmte wohl die zwei Schweine, die dann in der Nacht zum Sonntag gestohlen wurden). 

Immerhin war das Leben in Wallstein noch erträglicher gegenüber anderen Gemeinden, deren Bewohner zum größten Teil ins Lager wandern mußten, wo viele infolge der mangelhaften Verpflegung und des dichten Belages in den Baracken zugrunde gingen. Stadt- und Landkreis Ostrau waren die ersten, die ins Lager kamen, dann folgte Troppau und Jägerndorf. Binnen einer halben Stunde mußten sämtliche Bewohner der Stadt straßenweise gestellt sein, nur mit den notwendigsten Kleider- und Wäschestücken angetan, um dann in die Lager getrieben zu werden, deren es drei gab.

Im Lager selbst spielten sich schauderhafte Szenen ab. Alle mittelalterlichen Schilderungen verblassen gegen die satanischen Haßausbrüche dieser Untermenschen. Man sah Menschen, die nichts Menschliches mehr an sich hatten, bei denen nur das Weiß der Augen seine ursprüngliche Farbe besaß. Alles andere war blutunterlaufen und blau und schwarz gefärbt. Förster Stölzl aus Heinzendorf (Anmerkung: Nachbarort von Wallstein) wurde von fünf Mann mehrere Stunden lang geprügelt, daß man sein Schreien weithin hörte. Das ist nur ein Fall von vielen ähnlichen. Viele nahmen sich das Leben, u.a.  auch der bekannte Miniaturmaler Lus Raida aus Jägerndorf. Rippenbrüche, Nierenabtrennungen, Mastdarmaustritte waren Folgen der Mißhandlungen.  

In die Krankenhäuser wurden die Mißhandelten zu spät eingeliefert. Oft wurde der Arzt überhaupt verweigert. Förster Geyer, der sich im Polizeiarrest die Pulsader aufschnitt, mußte verbluten, weil man keinen Arzt zuließ. Ein Sattlergehilfe aus Jägerndorf wurde infolge der Züchtigung irrsinnig. Er rannte aus seiner Baracke mit erhobenen Händen auf den Hof mit dem Ruf: „Sieg! Sieg! Deutschland hat gesiegt!“ Ein Milizer schoß auf ihn. Er sackte zusammen. Der Milizer ging hin und schoß dem Mann hinters Ohr.  

Von einem Lehrerehepaar wurde folgendes berichtet: Der Mann erhängte sich, die Frau nahm Gift. Zuwenig, um tot zu sein. Es durfte kein Arzt geholt werden. Ein Gendarm befahl, die Bewußtlose zu begraben. Man weigerte sich. Zwei Tage lag die Frau. Dann erschoß sie der Gendarm. Sollte sich jemand finden, der anders zu berichten weiß, bin ich gerne bereit, mich zu berichtigen. Die Menschenschinder dachten sich immer neue, kleine „Scherze“ aus. Bauchkriechen im Dreck, Stehen im Regen mit erhobenen Armen, gegenseitiges Ohrfeigen waren die harmlosen Unterhaltungen. Es gab auch zünftigere. Im Bezirksgericht mußten sich die Häftlinge neben einander auf den Rücken legen und zum Gaudium der mitgebrachten Mädchen tanzten die Milizer, meist entlassene Sträflinge aus Ostrau, auf den Bäuchen der Wehrlosen herum. Die Gefangenen wurden gezwungen Seife, ja selbst ihren eigenen Kot zu essen.  

Daß diese Auslese der Menschheit auch mit alten Frauen kein Erbarmen hatte, beweist das Schicksal meiner alten Mutter, das viele im Panzerlager miterlebten. Am 14. Juli wurde sie mit 3000 anderen ausgetrieben. Bei dieser Austreibung spielten sich Tragödien in großen Ausmaßen ab. Die ersten Fußtransporte waren im Juni 1945. Man „registrierte“ hauptsächlich nicht arbeitsfähige Leute, Alte und Kranke und Frauen mit Kindern. Ließ sie anstellen, sagte ihnen sie kämen auf ein Dorf, wo sie es besser in der Verpflegung hätten. Und dann trieb man sie mit Hundepeitschen und Maschinenpistolen durch das Land bis an die deutsche Grenze und überließ sie dort dem Schicksal. Auf diesem Marsch, getrieben mit dem Stecken, wie man Vieh treibt, gingen viele zugrunde.  

Diese Gemeinden, die zur Austreibung bestimmt waren, wurden zeitig früh von allen Seiten durch Partisanen, Miliz und Gendarmen umstellt, damit niemand entfliehen konnte, die Menschen aus ihren Häusern getrieben und dann in Marsch gesetzt Richtung Jägerndorf. Manch einer nahm sich vorher das Leben, weil er es nicht über sich bringen konnte, sein Heim zu verlassen und ins Lager zu wandern, wo die Menschen zu Sklaven für die Tschechen verwandelt wurden“.